Standards

Maßstab allen gerichtlichen Handelns im Familienrecht ist das Kindeswohl. Dabei kommt der engen emotionale Verbundenheit des Kindes mit seinen zentralen familialen Bezugspersonen in der Regel herausragende Bedeutung zu. Streit zwischen diesen Erwachsenen belastet Kinder dagegen erheblich. Das gilt gleichermaßen für Konflikte zwischen den Eltern (§§ 1671, 1684 BGB), Großeltern, Geschwistern und anderen sozialen Bezugspersonen (§ 1685 BGB) sowie für Auseinandersetzungen zwischen Familie und Jugendamt bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung (§ 1666 BGB).

Die Forschung zu Trennung und Scheidung hat gezeigt, dass einvernehmliches Entscheiden und Handeln von Eltern den effektivsten Beitrag zur psychischen Entlastung von Trennungskindern leistet. Dem entspricht bei Kindeswohlgefährdung, die notwendigen staatlichen Interventionen so zu gestalten, dass sie neben ihrer Schutzfunktion für das Kind zugleich seinem Bedürfnis nach familialer Verbundenheit bestmöglich Rechnung tragen.

Seit 2009 kann das Gericht Psychologische Sachverständige ausdrücklich beauftragen, auch auf „Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten“ hinzuwirken (§ 163 Abs. 2 FamFG). Diese neue Aufgabenstellung wird gemeinhin als „lösungsorientierte Begutachtung“ bezeichnet. Da es sich jedoch weder um einen eindeutig definierten noch geschützten Begriff handelt, lässt sich allein an der Bezeichnung nur das angestrebte Ziel, nicht aber die Methodik des Sachverständigen erkennen¹.

Das hier vertretene Verständnis einer systemisch-lösungsorientierten  Begutachtung beruht auf einem ganzheitlichen und prozesshaft-dynamischen Familienbild – deshalb der Verweis auf „systemisch“ zur Unterscheidung von anderen, eher eigenschafts- oder merkmalsbezogenen Konzepten von Familie. „Systemisch-lösungsorientiert“ beschreibt somit ein grundlegendes Konzept von Psychologischer Begutachtung im Familienrecht, das sich nicht im Hinwirken auf Einigung hoch strittiger Trennungseltern erschöpft, sondern auf alle Fallkonstellationen anwendbar ist, für die das Gericht einen Begutachtungsauftrag
erteilt.

Die Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht, wie sie von der Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten unter Mitwirkung des FSLS verabschiedet worden sind, werden als allgemeine Grundlage für die Sachverständigentätigkeit angesehen. Die drei wesentlichen Aspekte für die Begutachtung sind dabei: ein wissenschaftlich fundiertes Vorgehen, Transparenz und Nachvollziehbarkeit.

Nachfolgend werden Standards vorgestellt und erläutert, die einem systemisch-lösungsorientierten Gutachten (FSLS) zu Grunde liegen.

 

¹Systemisch-lösungsorientierte Begutachtung beruht auf einem Verständnis von Psychologischer Begutachtung, das seit Mitte 1985 als elternorientiertes Vorgehen vielfach von Jopt gefordert und später als „lösungsorientierte Begutachtung“ (Bergmann, Jopt, Rexilius, 2002) ins Familienrecht eingeführt wurde.

Qualifikation

1. Systemisch-lösungsorientierte Sachverständige gehören einer der in § 163 Abs. 1 FamFG genannten Berufsgruppen an. Diese Berufsqualifikation wird ergänzt durch eine systemische Grundqualifikation.

2. Die vielfältigen Anforderungen der Tätigkeit als Sachverständige im familiengerichtlichen Verfahren erfordern zudem eine besondere Sachkunde. Die erforderlichen rechtlichen, diagnostischen, analytischen, psychologischen und pädagogischen Kenntnisse haben die Sachverständigen über eine umfassende
tätigkeitsspezifische Weiterbildung (FSLS-zertifiziert) in Theorie und Praxis erworben und nachgewiesen.

3. Durch laufende Fortbildung sowie begleitende Supervision stellen die Sachverständigen die Aktualität ihres Wissens sowie die Qualität ihrer Arbeit sicher.

Grundhaltung

Humanistisches Menschenbild

Im Rahmen familiengerichtlicher Begutachtung treffen Sachverständige auf Menschen, die schwerste kritische Lebensereignisse zu bewältigen haben. Das Bewusstsein, dass viele Betroffene nicht ausreichend über Kompetenzen zum konstruktiven Umgang mit derartigen existenziell bedrohlichen Krisensituationen verfügen, bildet die Basis des sachverständigen Handelns.

 

Systemisches Familienverständnis

Die Sachverständigen sehen Familie gemäß einem systemischen Verständnis als ein Netzwerk – intimer, exklusiver Beziehungen, die auch angesichts kritischer Lebensereignisse (z. B. Trennung und Scheidung, Fremdunterbringung) nicht enden, sondern fortbestehen. Derartige Ereignisse werden somit als Transitionsprozesse eingeordnet und behandelt².

²Cowan, P. A. (1991): Individual and family life transitions: A proposal for a new definition. In: P. A. Cowan & M. Hetherington (Hrsg.): Family transitions. Advances in family research 2. Hillsdale, NJ: Erlbaum, S. 3–30.

 

Selbstverständnis der Sachverständigen

Sachverständige verstehen auch sich selbst und ihren eigenen Arbeitskontext im Rahmen familiengerichtlicher Verfahren systemisch. Sie sehen sich selbst nicht nur als Experten, die die Familie von außen beurteilen und dem Gericht  Entscheidungshilfe leisten, sondern bringen ihr psychologisches Wissen einerseits zur Aufklärung, andererseits als Gestaltungshilfe für die Familie ein. In diesem Rahmen forcieren sie Erfahrungs- bzw. Erprobungsmodelle bei der Lösungssuche. Dabei wird auch die gerichtliche Anhörung zur Intervention genutzt, um eine Kooperation zugunsten des Kindes zu erreichen.

Trennung & Scheidung

A. Methodik

Es ist eine komplexe Herausforderung, hoch strittigen Trennungseltern zu vermitteln, dass sie trotz gescheiterter Paarbeziehung als Eltern weiterhin für ihre Kinder kooperieren sollen. Wo die Trennung von Paar- und Elternebene nicht gelingt, ist dies in erster Linie den Kränkungen, seelischen Verletzungen und Enttäuschungen geschuldet. Dennoch gibt es keinen besseren Weg einer Begrenzung des psychischen Schadens für die Kinder als die Herstellung elterlichen Einvernehmens. Um dies zu erreichen, verfügen systemisch-lösungsorientierte Sachverständige über eine Reihe besonderer Fertigkeiten sowie eine spezielle Methodik.

 

a. Methodische Prinzipien

Einbeziehung der Paarebene

Eine Besonderheit systemisch-lösungsorientierter Begutachtung besteht in der Einbeziehung der Paarebene, auch wenn sie formal nicht Verfahrensgegenstand ist, da ihr eine zentrale Bedeutung für eine nachhaltige Befriedung auf Elternebene zukommt. Aus diesem Grund widmen sich Sachverständige ihr sowohl bei den Einzelgesprächen als auch im gemeinsamen Elterngespräch.

 

Allparteilichkeit

Die subjektiven Sichtweisen der beiden Erwachsenen auf ihre Trennung sind, obwohl meist höchst unterschiedlich, in der Regel beide wahr. Sie werden von systemisch-lösungsorientierten Sachverständigen einerseits empathisch nachempfunden, gleichzeitig aber auch im Hinblick auf die Reaktionen, die sie beim anderen auslösen, offen hinterfragt. Auf diese Weise werden die beidseitigen Überzeugungen, selbst Opfer zu sein und im anderen den Täter zu sehen, aufgeweicht und damit einander zugänglicher gemacht. Dieses Vorgehen erfordert ein hohes Maß an einfühligkeit und Sensibilität. Es gilt, einerseits die Überzeugungen eines Elternteils zu achten und gleichzeitig der
gegenteiligen Ansicht des Anderen Geltung zu verschaffen. Dazu bedarf es einer von Wertschätzung geprägten Arbeitsbeziehung. Diesen dialektischen Prozess bezeichnet man als „Allparteilichkeit“. Allparteilichkeit darf weder mit einseitiger Parteinahme noch mit Neutralität verwechselt werden.

 

Trennungswissen über Erwachsene und Kinder

Systemisch-lösungsorientierte Sachverständige klären die Eltern über die Trennungsdynamik sowie
die Besonderheiten im Erleben und Verhalten von Trennungskindern auf.
Dazu zählen:

  • Elternstreit als psychische Belastung
  • Gleichzeitiges Bekenntnis der Kinder zu beiden Eltern (Loyalität)
  • Situative Emotionalität und Parteilichkeit
  • Instrumentalisierung (Beeinflussbarkeit)
  • Loyalitätskonflikte von Trennungskindern
  • Psychosomatik und Entwicklungsstörungen
  • Kinderaussagen in Spannungskontexten (Kindeswille)
  • Entfremdung von Eltern-Kind-Beziehungen
  • Mögliche Ursachen von Ablehnung eines Elternteils (Umgangsstörungen, -verweigerung)³

 
³Behrend, Katharina (2010). Kindliche Kontaktverweigerung (Umgangsverweigerung) aus psychologischer Sicht. Entwurf einer Typologie. Saarbrücken: Süddeutscher Verlag für Hochschulschriften.
 

b. Diagnostik

Auf der Grundlage eines systemischen Familienverständnisses stehen die Erfassung und Analyse des familialen Beziehungsgefüges und seiner Ressourcen im Zentrum der Diagnostik. Als Arbeitsmittel werden systemische diagnostische Verfahren eingesetzt. Zentrale Erkenntnisquellen sind Gespräche, Interaktionsbeobachtungen und Probehandeln. Grundsätzlich ist die Diagnostik nicht statusorientiert, sondern als systemische Prozessdiagnostik angelegt. Psychometrische und projektive Testverfahren sind dagegen zur Beantwortung familiengerichtlicher Fragestellungen in der Regel nicht geeignet. Diesbezüglich fehlt ihnen Validität, d. h. es bestehen keine nachgewiesenen Zusammenhänge zwischen Testbefunden und gerichtlicher Fragestellung. Deswegen kommen diese Verfahren in der systemisch-lösungsorientierten Begutachtung typischerweise nicht zum Einsatz.

 

c. Begutachtungselemente

Einzelgespräche

Sie stehen stets am Anfang der Begutachtung und unterstützen den Aufbau einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung. Üblicherweise werden sie in der jeweiligen häuslichen Lebenswelt geführt. Dort werden nach Möglichkeit auch die Kinder kennengelernt. Lebt ein Elternteil mit neuem Partner zusammen, wird dieser im weiteren Verlauf der Begutachtung mit einbezogen. Das gilt ggf. auch für andere Bezugspersonen des Kindes (z. B. Großeltern). Im weiteren Verlauf der Begutachtung werden ggf. weitere Einzelgespräche geführt, wenn die Gesamtentwicklung dies erforderlich macht.

 

Kinderexploration

Gespräche mit Kindern werden möglichst in einem positiv besetzten Umfeld außerhalb der Elternhäuser geführt. Als verständnisvolle und interessierte Gesprächspartner zeigen systemisch-lösungsorientierte Sachverständige Kindern, dass sie sich in deren psychische Lage gut einzufühlen verstehen, sagen Hilfe und Unterstützung zu, zeigen aber auch den Sinn von Regeln und Orientierung auf. Kinder werden von jeglicher Verantwortung für Elternkonflikte entlastet, aber auch auf mögliche eigene Anteile an der Konfliktdynamik hingewiesen (bspw. bei Abwertung eines Elternteils). Die im Kontakt mit dem Kind gewonnenen Erkenntnisse werden in die Gespräche mit den Eltern eingebracht, um sie zur kindgemäßen Gestaltung der Nachtrennungsfamilie anzuhalten und zu unterstützen.

 

Interaktionsbeobachtung

Nach systemischem Verständnis wird die Familie durch ein Netzwerk exklusiver, intimer Beziehungen geprägt. Demzufolge sind die Eltern-Kind-Beziehungen für die systemisch-lösungsorientierte familienpsychologische Begutachtung von zentraler Bedeutung, sowohl zur Einschätzung der kindlichen Belastungen und widersprüchlicher Kinderaussagen gegenüber einzelnen Elternteilen, als auch hinsichtlich möglicher Ansätze für einvernehmliche Konfliktlösungen. Meist stehen sich die Wahrnehmungen und Interpretationen der Eltern von ihren Kindern und deren Bedürfnissen diametral gegenüber, das betrifft auch die jeweilige Sicht auf die Eltern-Kind-Beziehungen.
Aussagen und Verhalten von Kindern gegenüber jedem einzelnen Elternteil sind zudem keineswegs automatisch Spiegelbilder ihrer tatsächlichen Meinungen und Gefühle gegenüber den Eltern, sondern häufig auch ein Ausdruck von Loyalität in Anbetracht der empfundenen elterlichen Erwartungen.
Systemisch-lösungsorientierte Sachverständige führen daher üblicherweise Interaktionsbeobachtungen im häuslichen Umfeld beider Elternteile durch, in der Regel im Umfang mehrerer Stunden. Wo sich dies nicht umsetzen lässt, wird ein möglichst natürliches Umfeld außerhalb der Elternhäuser aufgesucht. Spielplätze, Spaziergänge, Eisdielen, Tierparks u. ä. m. bieten häufig treffende Rahmenbedingungen. Im lebensnahen Umgang von Kind und Elternteil – verbal, vor allem
aber auch körpersprachlich – lassen sich Eltern-Kind-Beziehung und -Kommunikation einschätzen.
Zudem wird erkennbar, ob der geäußerte Kindeswille der tatsächlichen Beziehungsqualität entspricht oder erheblich davon abweicht. Insofern sind systemisch-lösungsorientiert angelegte Interaktionsbeobachtungen von diagnostischem Wert, auch wenn weder Übereinstimmung noch Diskrepanz zwischen Wort und Verhalten allein aus sich heraus hinreichende Erklärungen liefern. Aus fachlicher Sicht sind jedoch gerade solche Widersprüche regelmäßig wichtige Erkenntnisse für die Sachverständigen. Daneben hat eine systemisch angelegte Interaktionsbeobachtung aber auch noch eine zweite, prozessdiagnostische Seite. Über die Bild- und Tondokumentation dieser Situationen kann dem anderen Elternteil ein Eindruck vom Verhalten seines Kindes vermittelt werden, wie er es aus dessen Erzählungen nicht kennt. Dieses Vorgehen zielt darauf ab, Vorbehalte zu erschüttern und einen neuen Vertrauensaufbau zwischen den Elternteilen anzustoßen. Aus systemisch-lösungsorientierter Sicht gehen Interaktionsbeobachtungen somit häufig über einen rein diagnostischen Erkenntnisgewinn hinaus.

 

Gemeinsame Elterngespräche

Gemeinsame Elterngespräche sind ein zentrales methodisches Element systemisch-lösungsorientierter Begutachtung, um tragfähige einvernehmliche Regelungen zu erreichen. Dabei wird der Paarebene ausreichend Raum gegeben und werden die unterschiedlichen subjektiven Wahrheiten beider Eltern zusammengeführt. Diese Auseinandersetzung, teils auch über emotionale und konflikthafte Gesprächsverläufe, wird von systemisch-lösungsorientierten Sachverständigen als ein notwendiger Klärungsprozess gezielt angeregt.
Hinsichtlich der Elternebene liegt der Fokus systemisch-lösungsorientierter Sachverständiger zunächst auf einer Sensibilisierung der Eltern für die Hoffnung ihrer Kinder auf Streitabbau und Einvernehmen. In diesem Zusammenhang sprechen die Sachverständigen mit den Eltern über ihre Erkenntnisse zu Entwicklung, Bedürfnissen, Beziehungen des Kindes. Bei dieser Gelegenheit wird in der Regel auch der geäußerte Kindeswille und seine Bedeutung thematisiert.
Schließlich werden unterschiedliche Wege zur Gestaltung der Nachtrennungsfamilie diskutiert und ggf. eine einvernehmliche Regelung erarbeitet. In diesem Fall bieten systemisch-lösungsorientierte Sachverständige sich den Eltern als Ansprechpartner im Fall zukünftiger Konflikte an und besprechen mit ihnen Möglichkeiten, neuerlichen gerichtlichen Verfahren vorzubeugen (Konfliktprävention).
Sofern keine Einigung erzielt werden kann, wird die Begutachtung abgeschlossen, im Gutachten werden die gerichtlichen Beweisfragen beantwortet und dem Gericht eine Empfehlung vorgelegt. Diese Empfehlung wird den Eltern üblicherweise in einem Elterngespräch vorgestellt und begründet. Das systemische Familienverständnis der Sachverständigen gilt im Rahmen von Verfahren nach §1666 BGB gleichermaßen auch für alle in ihrem Wohl gefährdeten Kinder.

Kindeswohlgefährdung

A. Methodische Prinzipien

Spannungsarme Lösungen zur Sicherung des Kindeswohls

Müssen im Rahmen eines familiengerichtlichen Verfahrens Kinder von ihrer Familie getrennt werden, bedenken systemisch-lösungsorientierte Sachverständige im Rahmen der Begutachtung mit, inwieweit die zum Schutz des Kindes getroffenen Maßnahmen ihrerseits durch Vereinzelung und emotionale Deprivation sein Wohl gefährden könnten. Möglichst ist einem Beziehungsabbruch zwischen Kind und Ursprungsfamilie während der Fremdunterbringung vorzubeugen und sind Umgangskontakte in einem Rahmen zu gewährleisten, der die emotionale Bedeutung der
Eltern-Kind-Bindung berücksichtigt (Eingewöhnungszeiten, Besuchsintervalle, Umgangs- und Telefonkontakte). Auch umfasst die Überprüfung der grundsätzlich bestehenden Rückkehroption immer auch die Suche nach Chancen und Perspektiven für eine Verbesserung der Erziehungsfähigkeit der Herkunftsfamilie.
Auch bei Kindeswohlgefährdung wird die Gestaltung spannungsarmer, beziehungserhaltender Lösungen in den Blick genommen, soweit das Schutzbedürfnis des Kindes diese erlaubt. Da Familie auch für Kinder, die aufgrund erheblicher Erziehungsdefizite ihrer Eltern nicht bei ihnen aufwachsen können, von großer emotionaler Bedeutung ist, wird bei allen zum Schutz des Kindes erforderlichen Eingriffsempfehlungen stets das Verhältnismäßigkeitsprinzip beachtet.
Bei Konfliktkonstellationen zwischen Herkunfts- und Pflegefamilie bemühen systemisch-lösungsorientierte Sachverständige sich um die Gestaltung möglichst kooperativer Beziehungen zwischen allen Beteiligten, wobei selbstverständlich der Schutz der Kinder vor Gefährdung stets Vorrang hat. Ziel ist es, Loyalitätskonflikte der Kinder zu mindern, und zu erreichen, dass ihr Aufwachsen außerhalb der Ursprungsfamilie nicht in einen Dauerkonflikt um das „richtige Zuhause“ mündet.

 

Begutachtungselemente

Runder Tisch

Ein zentrales methodisches Element in Verfahren nach § 1666 BGB i/ § 1632 BGB ist der „Runde Tisch“, zu dem systemisch-lösungsorientierte Sachverständige die Beteiligten und Fachkräfte einladen. Hier werden die unterschiedlichen Einschätzungen und Perspektiven diskutiert, mit dem Ziel, aus einem bis dato häufig kontradiktorischen Setting (Helfersystem unter Führung des Jugendamtes vs. Familie) eine fachkundige Verantwortungsgemeinschaft zu gestalten, in der alle dasselbe Ziel im Blick haben – das Wohl des Kindes.

Gutachtenerstattung

Schriftliches Gutachten

Konnte im FamFG-Verfahren ein Einvernehmen zwischen den Eltern erreicht werden, wird dies dem Gericht mitgeteilt, wobei auf die Aspekte Lebensmittelpunkt, Kontaktgestaltung (Umgang), Elternverantwortung (Sorgerecht) und Konfliktprävention eingegangen wird. Wurde kein Einvernehmen der Eltern erzielt, stellt das Gutachten den Arbeitsprozess, die gewonnenen Erkenntnisse sowie die sachverständige Bewertung der Befunde transparent und nachvollziehbar dar. Es enthält üblicherweise Ausführungen zur familialen Konfliktstruktur, zur Lebenssituation der Kinder und Eltern, zu ihren Ressourcen und Kompetenzen. Ebenso erfolgen Erörterungen zur Entwicklung und ggf. psychischen Belastung des Kindes. Das Gutachten beantwortet die gerichtlichen Beweisfragen. Die Sachverständigen formulieren und begründen ihre Empfehlungen an das Gericht.
Um eine unnötig streitverschärfende Wirkung des schriftlichen Gutachtens zu vermeiden verwenden systemisch-lösungsorientierte Sachverständige eine fachlich achtungsvolle Sprache.

 

Mündliches Gutachten

In Absprache mit dem Gericht bieten systemisch-lösungsorientierte Sachverständige ein mündlich erstattetes Gutachten an, da dies die Prinzipien Mündlichkeit und Beschleunigung aufgreift. In diesem Fall kann bereits mit der Beauftragung ein Anhörungstermin zur Gutachtenerstattung bestimmt werden. Die Dokumentation der Ausführungen erfolgt über das Anhörungsprotokoll oder als richterlicher Vermerk. Auf Wunsch des Gerichts oder eines Beteiligten erfolgt ggf. eine Verschriftlichung des Gutachtens im Nachgang.

Literatur

Behrend, Katharina (2021). Qualität und Stabilität von Elterneinigungen. In: ZKJ Zeitung für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 12/21, S. 439 – 445 u. 01/22, S. 14 – 16.

Behrend, K. (2011). Das Gutachten als Lösungshilfe bei Sorge- und Umgangsrechtsstreitigkeiten nach Trennung. In: K. Menne & M. Weber (Hrsg.), Professionelle Kooperation zum Wohle des Kindes. Hinwirken auf elterliches Einvernehmen im familiengerichtlichen Verfahren (FamFG). Weinheim: Juventa.

Behrend, K. & Jopt, U. (2009). Kinder sind Kinder! Plädoyer für ein lösungsorientiertes Vorgehen auch bei Kindeswohlgefährdung. In: Müller-Magdeburg, C. (Hrsg.). Verändertes Denken – zum Wohle der Kinder. Festschrift für Jürgen Rudolph. Baden-Baden: Nomos. S. 153 – 163.

Bergmann, E., Jopt, U. & Rexilius, G. (Hrsg.) (2002). Lösungsorientierte Arbeit im Familienrecht. Intervention bei Trennung und Scheidung. Köln: Bundesanzeiger Verlag.

Jopt, U. (1987). Nacheheliche Elternschaft und Kindeswohl – Plädoyer für das gemeinsame Sorgerecht als anzustrebenden Regelfall. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 875–886.

Jopt, U. (1992). Im Namen des Kindes. Plädoyer für die Abschaffung des alleinigen Sorgerechts. Hamburg: Rasch und Röhring.

Lehmann, M. (2012). Der systemische Gutachter? Die systemisch fundierte „lösungsorientierte Sachverständigentätigkeit“ im Familienrecht. KONTEXT 43, 1, 1–15.

Zütphen, J. (2010). Psychologische Begutachtung im Familienrecht. Effekte entscheidungsorientierter vs. lösungsorientierter Begutachtung auf die Trennungsfamilie; Erfahrungen und Ansichten aus Elternsicht. Bielefeld: Universität Bielefeld. Abteilung für Psychologie und Sportwissenschaft.

Konzeption:

Prof. Dr. Uwe Jopt
Dr. Katharina Behrend
Dipl. Psych. Dr. Mike Lehmann
Dipl. Psych. Kristina Lurse
Psychologin (M.A.) Carola Kalisch (2. Auflage)

Die Standards systemisch-lösungsorientierter Begutachtung können hier als Broschüre bestellt werden oder hier als PDF heruntergeladen werden.